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DAS
GEHIRN DER FORMEL
1
Colin Chapman: Eine Personenbeschreibung
>All unsere Kraft indes liegt im Geistigen und im Körper: Das
Geistige verwenden wir zum Herrschen, den Körper mehr zum Dienen<
Gaius Sallustius Cripius 86 - 34 v.Chr.
Man muss
sich endlich von diesem absurden Vorurteil lösen, dass dieser Colin
Chapman ein technologischer Hasardeur gewesen sei. Einer, dem alles
Menschliche so fremd war, dass er das Leben nicht im geringsten
respektierte. Ein Diktator, der seine Mitarbeiter wie Sklaven
ausbeutete. Alles was diesbezüglich in den letzten vier Jahrzehnten
geschrieben wurde, und es war gewiss nicht wenig, ist, noch vorsichtig
ausgedrückt Unsinn
und
gehört eigentlich in den Papierkorb. Vorurteile werden nicht dadurch
wahrer, in dem man sie permanent wiederholt.
Der 16.
Dezember 1982 war ein bitterkalter Wintertag mit Eis und noch mehr
Schnee. Es ist der Tag, an dem Colin Chapman mitten in der Nacht einen
Herzinfarkt erlitt. Die Mitarbeiter von Team Lotus in Schloss
Ketteringham Hall waren längst gegangen, Chapman war in seinen privaten
Räumen schon mehrere Stunden lang allein. Er starb wie sein großer
Rivale Enzo Ferrari einige Jahre später: Sehr, sehr einsam. Genies haben
keine Freunde, sondern bestenfalls Bewunderer. Dafür um so mehr Feinde.
Bei Enzo Ferrari war das in jeder Hinsicht genauso, doch der Italiener
erreichte das gesegnete Alter von 90 Jahren, und dies fast bis zum Ende
bei relativ stabiler Gesundheit. Colin Chapman ist jung gestorben, mit
nur 54 Jahren, und viele davon wurde er von höllischen Magenschmerzen
regelrecht gequält.
Auf dem
Gipfel höchster Leistung ist die Luft sehr, sehr dünn. Da ist der
Absturz fast schon vorprogrammiert. Um das Genie gruppieren sich
Demagogen, Opportunisten und selbsterniedrigende Befehlsempfänger. Diese
Entourage ist bizarr und sie ist unheimlich. Da ist überall Raum für
Verschwörungen, aber nicht der geringste Platz für Vertrauen. Das Genie
braucht deshalb Härte, eiskalte Berechnung und vor allem permanente
Wachsamkeit. Die Gefahr, dabei wahnsinnig zu werden, ist ungeheuer groß.
Es ist ein Szenario, das auch in den Archipel Gulag gepasst
hätte. Man kann dieses dreckige Spiel mitspielen oder man kann es
bleiben lassen, nur wird man diesem Falle daran zugrunde gehen.
Colin
Chapman war ein Generalist, der grosse, historische Lösungen liebte.
Detailversessen wie Ron Dennis war er nicht und deshalb auch nicht so
spießig. Chapman war diplomierter Ingenieur, nicht Mechaniker. Der Sohn
eines Hotelmanagers gehörte von Geburt an zum Mittelstand. Im
angloamerikanischen Raum ist der Begriff der Elite nicht
negativ besetzt. Wer zu ihr gehört, braucht Werkzeuge nicht mehr
anzufassen, kann es sich zeitgleich aber wieder leisten, Sponsorjacken
statt Gucci-Anzügen zu tragen. Colin Chapman war eine durch und durch
elegante Persönlichkeit, auch in sportlicher Kleidung. Manchmal wurde
er, etwa an einem Flughafen, mit dem Amerikanischen Filmschauspieler
David Niven verwechselt und die Ähnlichkeit mit ihm ist wirklich sehr,
sehr auffällig. Chapman war großzügig und meistens charmant, aber er war
extrovertiert wie ein Südeuropäer. Gerade deswegen musste man sich im
Spanien zu Franco-Zeit ernsthafte Sorgen machen und auch sonst hat es
zwischen ihm und der Polizei, nun sagen wir, manchmal
Meinungsverschiedenheiten gegeben. Chapman war, immer offen, immer
direkt, manchmal auch vor den Kopf stoßend, weder Diplomat, noch
Politiker. Gerade deswegen hätte es F.I.S.A.-Präsident Jean-Marie
Balestre es so gerne gesehen, wenn er Bernie Ecclestone am Anfang der
achtziger Jahre an der Spitze der Formula One Constructors
Association abgelöst hätte. Als Stratege war Chapman um keine
Kriegslist verlegen, als Partner war er geprägt von einer Loyalität, die
man bei ihm niemals vermutet hätte.
Chapman,
der Gentleman am Limit, war ein Individualist, der viel kreativen
Spielraum brauchte. Kreative Persönlichkeiten sind niemals einfach und
eine simple Persönlichkeitsstruktur ist auch nicht unbedingt ein
Kompliment, es sei denn, man umgibt sich grundsätzlich nur mit
Beamtenseelen. Visionen kann man nicht verwalten, man muss sie leben,
und das kostet enorm viel Substanz. Colin Chapman´s Designer Maurice
Phillippe hat das, viele Jahre nachdem er Team Lotus verlassen hatte,
irgendwann nicht mehr geschafft. Da setzte er seinem Leben ein Ende, in
seinem Garten und an einem Apfelbaum. Manche Mitarbeiter Chapmans
wuchsen an ihm, wie Emerson Fittipaldi, Herbie Blash, später Mario
Andretti und Nigel Mansell. Andere zerbrachen an ihm wie Dave Walker,
John Miles oder Eddie Dennis. Adjutant Peter Warr hielt härtestem Druck
stand, er führte das Team ab 1983 als Vermächtnis weiter, obwohl es
Hazel Chapman, Colins Witwe, ganz alleine gehörte. Wenn keine Sponsoren
mehr da sind, wenn die Fernsehkameras ausgeschaltet sind, geht es in
Grand Prix Teams oft zu, wie auf dem Bau oder beim Militär, machen wir
uns da ja nichts vor. Man muss, das ist ja oft diskutiert worden, nicht
unbedingt verrückt
sein, mit dem Grand Sport verwickelt zu sein, aber es hilft einem
wirklich. Colin Chapman war im Motorsport, weil er den Wettbewerb
liebte. Auf der Piste ebenso wie in der Fabrik oder im
Konstruktionsbüro. Chapman wollte Siege, keine Punkte. Da stand er ganz
im Gegensatz zu seinem eher rustikalen Rivalen Ken Tyrrell, vorallem
aber zu Bruce McLaren, der ja immer Fahrer und Konstrukteur in
Personalunion war. Nur wenige wissen heute, dass auch Chapman seine
Autos einst auch selbst gefahren hatte.
Das waren seine ersten, ultraflachen Lotus Sportwagen,
mit denen er sogar zu den 24 Stunden von Le Mans angetreten war. Zum
einem Grand Prix-Cockpit kam er nur ein einziges Mal: Für den Grand Prix
von Frankreich 1956 in Reims war er bei Vanwall Teamkollege des späteren
Weltmeisters Mike Hawthorn (1958 bei Ferrari). Colin Chapman
qualifizierte sich für einen ausgezeichneten
fünften
Startplatz. Doch beide Vanwalls kollidierten wenig später im Training
und Chapmans Auto liess sich vor Ort nicht mehr reparieren. Seit dem
Grand Prix von Monaco 1959 war Chapman selbst Chef eines Grand Prix
Teams mit Graham Hill und Cliff Allison, der beim Debut gleich Platz 6
belegte. Von da an stand er nur noch auf der anderen Seite der
Leitplanke, war meistens der Boss, selten die Vaterfigur, niemals der
Kumpel.
Colin
Chapman war in der Tat jener Minimalist, für den er immer hingestellt
wurde. "Ich nehme niemals von irgendetwas zuviel," hatte er einmal
gesagt. Leichtbau war Philosophie, nicht Ideologie. Im Mittelalter waren
Philosophie und Mathematik nicht voneinander getrennt und die sechziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts waren das Mittelalter des Rennwagenbaus.
Keine Frage, Lotus-Rennwagen erlitten viel häufiger Defekte am Chassis,
viel häufiger Materialbrüche als die Autos der Mitbewerber.
Lotus-Rennwagen waren aber auch mit Abstand am schnellsten. Leichtbau
ist nicht per se gefährlich, aber in den sechziger Jahren war vieles
noch nicht erforscht. Colin Chapman arbeitete, anders als viele
Konstrukteure jener Zeit, mit wissenschaftlichen Methoden, deren
Richtigkeit unbestritten ist. "Der beste Rennwagen ist derjenige, der
nach der Ziellinie zusammenbricht," sagte einst Professor Ferdinand
Porsche, auch er ein Genie, auch er verfemt. Chapman mag für den Tod
sechs seiner Piloten eine gewisse Form von Verantwortung tragen, in etwa
so wie ein demokratisch legitimiertes Regierungsmitglied die politische
Verantwortung für eine bestimmte Maßnahme zu tragen hat. Schuld aber
trifft ihn persönlich nicht im geringsten. Die Unfälle von Alan Stacey,
Ricardo Rodriguez und Mike Spence waren höhere Gewalt oder Schicksal,
das kommt auf den Standpunkt des Betrachters an. Jim Clark starb wegen
eines Reifenschadens, Jochen Rindt wegen des Fehlers bei einer
Drittfirma, Ronnie Peterson, weil erst ein Konkurrent, dann die
behandelnden Ärzte kapitale Fehler gemacht hatten. Die viel zitierten
Lotus-Defekte waren Erfindungen der Sensationspresse, Werke von
Blutjournalisten, die es bis heute nicht unterlassen können, stets neues
Öl ins Feuer zu gießen. Wenn Lotus-Rennwagen zerbrachen, war das meist
das Resultat von Produktions- nicht von Konstruktionsfehlern. Chapmans
Pläne umzusetzen, war für den Mann an der Werkbank oft extrem schwierig.
Und viele von Chapmans Mitarbeitern oder Partnern, wie den Brüdern Frank
und Mike Costin oder auch Keith Duckworth, gingen, nicht selten nach
heftigem Streit, ganz eigene Wege. Schon aus diesem Grunde hätte es ohne
Colin Chapman den Welterfolg von Cosworth niemals gegeben.
Die
Liste von Colin Chapmans Erfindungen ist unglaublich lang. Sie reicht
vom Monocoque über den Motor als tragendes Element bis hin zum
Flügelauto. Chapman, der Flieger, war ein enthusiastischer
Aerodynamiker. Er war ein Mann, der die grosse Linie vorgab, die
Routinearbeit wusste er zu deligieren, war aber ein Pedant bei deren
Beaufsichtigung. Viele bereits existierende Methoden und Systeme griff
er auf, perfektionierte sie und adaptierte sie für den Rennwagenbau.
Auch ein Colin Chapman konnte das Rad nicht neu erfinden, aber er war in
der Lage, Dinge ganz schnell neu zu definieren. Das Monocoque stammt aus
dem Flugzeugbau und die aktive Radaufhängung war ursprünglich dazu
gedacht, in Ambulanzwagen auf schlechten Landstrassen für eine ruhigere
Fahrt zu sorgen, damit der Patient noch während des Transports
hinreichend medizinische Behandlung erfahren konnte. Schonungslose
Analyse
in Verbindung mit konsequenter Umsetzung gehörten zu Colin Chapman
ebenso wie der Wille zur Macht. Als er Ferrari an Siegen übertroffen
hatte, war er, obwohl er keinerlei Amt besaß, der mächtigste Mann im
internationalen Motorsport. Chapman besaß Authorität qua fachlicher
Kompetenz, aber auch persönlicher Integrität und für seine rund 800
Mitarbeiter ging er durchs Feuer. Group Lotus war in den
sechziger und siebziger Jahren wirklich schon ein kleiner Konzern.
Auch in
geschäftlichen Angelegenheiten war er ein Pionier. Als 1968 die
Nationalfarben für internationale Wettbewerbe im Motorsport freigestellt
wurden, war er der erste, der einen Rennwagen komplett in den Farben
eines kommerziellen Sponsors präsentierte. Viele Puristen
haben Chapman die plötzliche Aufgabe des British Racing Green
sehr, sehr übel genommen. Dabei war er doch ein Traditionalist und auch
ein Patriot. Chapman schuf Traditionen selbst und hielt sich nicht mit
der Konservierung alter Dinge auf. John Player Special war auch
im Jahr 2000 noch immer der bekannteste Markenartikel, für den im Grand
Prix Sport geworben wurde. Geld war für Colin Chapman nur immer dann ein
Problem, wenn keines mehr da war und auch das ist passiert, machen wir
uns da ja keine Illusionen. Der Verkauf der Strassenautos, deren
Produktion wirtschaftlich unabhängig von Team Lotus Ltd.
ablief, geriet mehrfach in eine tiefe Krise. Und nicht immer zahlten
Sponsoren, wie sie das hätten tun sollen. Manche sonnten sich im Glanz
der Grand Prix Siege, und verschwanden ganz schnell wieder. Es gab für
Colin Chapman einige Geschäftspartner, für die wäre das Prädikat
unseriös noch ein Kompliment gewesen. Wo grosse Mengen von Geld im
Spiel sind, wächst die Begehrlichkeit und manchmal auch die Korruption.
Welche Rolle der Zusammenbruch des De Lorean-Projekts in Nordirland (und
die seines US-Amerikanischen Urhebers) gespielt hatte, der am Ende von
Colin Chapmans ziemlich kurzen Lebens stand, muss offen bleiben. Dem
korrekt arbeitenden Beobachter verbieten sich aus naheliegenden Gründen
jedwede Spekulationen darüber.
Für Enzo
Ferrari stand immer der Motor im Zentrum des Rennwagenbaus. Für Colin
Chapman war es das Chassis, der ideale Grand Prix Rennwagen wäre also
ein Lotus Ferrari gewesen. In Jim Clark fand Chapman die
geniale Ergänzung als Fahrer. Chapman bezeichnete den Schotten als
seinen allerbesten Freund, aber ob es umgekehrt allerdings genauso war,
da bin ich mir nicht so sicher. Das Deutsche Massenblatt Bild
Zeitung, Europas größte Tageszeitung nannte Colin Chapman kurz nach
seinem Tod voller Respekt: Das Gehirn der Formel 1. Dabei ist
dieses Boulevardblatt doch eigentlich dafür bekannt, nicht einmal vor
den Mächtigen dieser Welt irgendeinen Respekt zu haben. Es wäre gut zu
wissen, ob auch die Generationen des dritten Jahrtausends
Persönlichkeiten wie Colin Chapman hervorbringen können, aber auch
diesbezüglich habe ich da meine Zweifel. Colin Chapmans Leben gab viele
Antworten. Sein Tod stellt uns viele
Fragen.

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